Gedanken zu den Monaten Dezember und Januar von Rabbinerin Jasmin Andriani

Liebe Gemeinde,

Shalom aus Berlin!

 

Wir befinden uns im Monat Kislev, an dessen 25. Tag Chanukah beginnt. Wir können dieses freudige Lichterfest dieses Jahr sehr gut gebrauchen! „Chanukah“ bedeutet „Wiedereinweihung“ und bezieht sich auf die Rückeroberung des Tempels in Jerusalem durch die Makkabäer im Jahre 165 BCE. Auch wir freuen uns auf eine Wiedereinweihung unseres Tempels, unserer Synagoge und des Gemeindelebens.

Glücklicherweise ist Chanukah ein Feiertag, den man auch sehr schön zu Hause feiern kann. Man zündet die Chanukiah, isst Latkes und Sufganiot und spielt mit dem Trendel. Unendlich viele Lieder begleiten diese freudige Zeit. Das erste Lied, das man üblicherweise direkt im Anschluss an das Zünden der Chanukiah singt, ist „Maos Zur“, auf Deutsch „Festung und Fels“.

Als „Zur“, also als Felsen, bezeichnen wir oft in unserer Liturgie G´tt. Als etwas, an das man sich klammern kann, das einem Schutz bietet. Der Liedtext erinnert daran, dass das jüdische Volk viele Male aus den Händen feindlich gesinnter Herrscher und Völker errettet wurde. Sie alle haben im Laufe der Geschichte vergeblich versucht, die Juden physisch oder spirituell zu zerstören.

Die erste Strophe des Hymnus ist eine Art Einführung. Die zweite Strophe handelt vom Exil in Ägypten und dem darauf folgenden Exodus, durch den das jüdische Volk mit G’ttes Hilfe aus der Sklaverei befreit wurde. Die dritte Strophe handelt vom babylonischen Exil, und der Rückkehr nach Jerusalem.

Die vierte Strophe erzählt von der Rettung aus den Händen Hamans, der Purimgeschichte.

Nur die fünfte Strophe handelt von den Ereignissen des Chanukahfestes – dem Sieg der Hasmonäer über die Griechen, dem Ölwunder und dem Edikt unserer Weisen, acht Tage lang zu feiern. Anders als der Mittelteil sind die erste und die letzte Strophe im Präsens verfasst. Sie drücken die Hoffnung auf Erlösung und die damit verbundene Wiedereinweihung des Tempels aus.

Reiht man die Anfangsbuchstaben der Strophen aneinander, erhält man den Namen „Mordechai“, und geht davon aus, dass so der Autor des Stücks hieß. Es wurde vermutlich im 13. Jahrhundert geschrieben im heutigen Deutschland und zwar ebenfalls in einer Stunde großer Not: Pogrome erschütterten die jüdischen Gemeinden in Aschkenas, Synagogen wurden zerstört, Juden umgebracht oder zur Flucht gezwungen. In dieser Situation schreibt jener Mordechai also ein Lied, das aufzeigt, wie viele Krisen das jüdische Volk bereits überlebt hat und Hoffnung spenden soll, dass auch diese Krise überstanden werden wird. Die Idee der jüdischen Geschichte als Prozess einer g’ttlichen Erlösung ist im Text tief verankert.

Leider wissen wir heute, dass die mittelalterlichen Pogrome nicht die letzte schlimme Bedrohung für die Juden waren. Auch in der Nazizeit feierte man Chanukah und sang voller Hoffnung „Maos Zur“.

Liebe Gemeinde, uns geht es gut. Unsere Sorgen und Nöte sind nicht zu vergleichen mit den schrecklichen Ereignissen, von denen dieses Lied erzählt. Trotzdem haben auch wir ein bisschen Hoffnung nötig und das Bedürfnis, einen Fels zu haben, an dem wir uns festhalten können.

Vielleicht sollten wir uns aber weniger mit unseren Vorfahren in Kriegssituationen vergleichen, sondern uns eher betrachten wie die Kerzen der Chanukiah: Zunächst brennt nur eine kleine Kerze, aber bald folgen ihr weitere und sie strahlen gemeinsam hell. Der Schamasch, die Dienerkerze, zündet jeden Tag mehr und mehr Kerzen an. Wie der Schamasch können auch wir unsere Mitmenschen unterstützen; helfen, wenn Jemand leidet und die Hoffnung auf ein sorgenfreieres, neues bürgerliches Jahr entzünden.

Ich wünsche euch ein tolles Chanukahfest, Chanukah sameach!

Und einen guten Rutsch (Rosch) ins neue Jahr.

 

Alles Gute,

Rabbinerin Jasmin Andriani

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