Gedanken zum Monat September von Rabbinerin Jasmin Andriani

Liebe Gemeindemitglieder,

 

Der Granatapfel

 

Auf dem Rosh-Hashana-Festtagstisch darf der Granatapfel, der Rimon, als elementarer Bestandteil nicht fehlen. Er gehört neben Apfel und Honig, für ein süßes neues Jahr und der runden Challah, dem Hefezopf, zu den wichtigsten und leckersten Symbolen des jüdischen Neujahrsfestes. Man bricht ihn auf und verspeist die Kerne. Man nimmt sich vor, im nun beginnenden neuen Jahr so viele gute Taten zu verrichten, wie der Granatapfel Kerne hat. Da hat man ganz schön was zu tun! Angeblich soll jeder Granatapfel 613 Kerne haben, so viele Ge- und Verbote kennt das Judentum. Wer möge zähle nach.

Dieses Jahr ist allerding mein Appetit auf Apfel mit ganz viel Honig sehr groß. Ich will, dass dieses Jahr süß wird, dass das Universum gut zu mir ist! Das letzte Jahr, 5780, läßt uns schockiert zurück. Es begann zu Yom Kippur mit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle. Die Nachricht erreichte uns kurz vor der Ne´ila. Ein brutaler Anschlag auf Juden in Deutschland. Er verunsicherte uns, wir machten uns Sorgen und wußten nicht, wie es weiter gehen sollte für uns in diesem Land. Wir entwickelten eine Art Trotzhaltung: Jetzt erst recht! Die Gemeinden versuchten sich noch mehr zu schützen und wir schafften es, das Gemeindeleben aufrecht zu erhalten.

Bis eine ganz andere Bedrohung plötzlich über uns herein brach. Eine globale Pandemie, von der wir im Februar das erste Mal hörten und bereits Mitte März veränderte sie unser Leben grundsätzlich. Menschen erkrankten, einige starben. Das gesamte öffentliche Leben wurde stillgelegt. Freunde und Familienangehörige konnten sich nicht mehr sehen und unterstützen. Sehr Viele hatten finanzielle Sorgen. An Schabbat blieb die Synagoge leer. Und gegen all das konnten wir uns nicht wehren.

Allerdings muss man bei aller Not in unserem Leben sehen, dass es uns momentan in Deutschland so gut geht, wie kaum einem anderen Land auf der Welt. In Israel, in den USA, in Südamerika, Russland, Afrika, Indien, gibt es nicht nur viele Kranke, sondern auch sehr viele Menschen, die nicht wissen, wie sie ihre Familie versorgen sollen. Wie sie Essen kaufen und ihre Miete bezahlen sollen. Ganze Gesellschaften werden auseinandergerissen und wer früher stark war, ist es heute nicht mehr.

Gerade in dieser Situation haben wir eine besonders große Verantwortung. Für die Menschen innerhalb unserer Gesellschaft aber auch für alle Erdenbewohner.

Und so kommen wir doch wieder zurück zu unserem Granatapfel, der uns genau an diese Verantwortung erinnern soll.

Dieses Jahr wird unser Tisch also besonders viele Äpfel mit Honig haben, mit denen wir um ein süßes Jahr bitten, auf Gutes hoffen, das wir nicht selbst in der Hand haben und auch eine Extra-Portion Rimonim, die uns daran erinnern sollen, dass vieles doch in unserer Hand liegt.

Ich wünsche uns allen ein gesundes und süßes Jahr 5781!

Schana briah umetukah!

 

בריאה ומתוקה  שנה

 

Eure Rabbinerin,

Jasmin Andriani

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