Jom Ha‘Azmaut 2020

Am 5. des Monats Ijar, am 14. Mai 1948 hat David Ben Gurion die Unabhängigkeit Israels proklamiert. Am Vorabend des Feiertages Jom Ha’Azmaut, beginnt Jom Ha’Zikaron, aufHebräisch:

יום הזכרון לחללי מערכות ישראל ונפגעי פעולות האיבה

„Gedenktag an die gefallenen israelischen Soldaten und Opfer des Terrorismus“

Den Gedenktag genau vor dem Unabhängigkeitstag zu feiern, soll uns daran erinnern, welcher Preis für die Unabhängigkeit bezahlt werden musste und noch immer muss.

Am 25. Jahrestag der Staatsgründung Israels, im Jahre 1973, fragte der israelische Schriftsteller, Michael Bar-Zohar, David Ben Gurion, noch kurz vor seinem Tod: „ist dies der Staat Israel, den Sie erträumt haben?“

Ben Gurion antwortete nachdenklich:„Der Staat Israel ist noch gar nicht geschaffen worden. Alles, was wir bisher getan haben, ist, dass wir die Fundamente gelegt haben. Aber der Staat selbst wird erst in zwanzig Jahren, vielleicht auch mehr, Gestalt angenommen haben“.

Es ist eine unleugbare Tatsache, dass Israel unglaubliche Leistungen vollbracht hat. Die Mehrzahl der Aufgaben, die Ben Gurion der jungen Nation stellte, ist erfolgreich gelöst worden:

-Die Aufstellung der israelischen Armee, der Sieg im Unabhängigkeitskrieg,

-Die ersten Masseneinwanderungen und die Eingliederung der Olim, der neu Zugewanderten,

-Die Industrialisierung des Landes, die rasche Entwicklung der Wissenschaft.

-Israels Frieden mit Ägypten und mit Jordanien passen noch in den Rahmen von Ben Gurions Vision.

Diese Erfolge sind jedoch nur ein erster Schritt bei der Schaffung eines Staates, wie ihn Ben Gurion sah.

Ben Gurion träumte aber von viel mehr! Das Gerüst wartet immer noch darauf, an jüdischen und universellen ethischen Werten gefüllt zu werden.

Israel könnte sich, nach den Vorstellungen Ben Gurions, nur behaupten, wenn esdem neuen Staat gelingt, eine gerechte und moralische Gesellschaft zu gründen. Er predigte, dass Israel „ein auserwähltes Volk und ein „Or Lagojim“ „Licht für die Völker“ werden müsse.

Ben Gurion sagte einmal, dass Israels Schicksal von zwei Dingen abhängt:„von seiner Stärke und seiner Rechtschaffenheit“. Er betrachtete den Aufbau einer schlagkräftigen Armee, die Israels Sicherheit garantierte, als dringendstes und lebenswichtiges Vorhaben.

Warum dachte Ben Gurion so? Ben Gurion war zwar kein Historiker, aber analysierte die Situation des jüdischen Volkes objektiv. Er wusste, dass das gelobte Land, weit davon entfernt war, indem Milch und Honig flossen. Das Land Israel ist ein wüstenartiges Land, das Land ist von Feinden umgeben.

Nach Ben Gurion gab es nur ein einziges Mittel, um die jüdischen Menschen fürimmer an ihr Land zu binden: ihnen das Gefühl zu geben, dass Israel der alleinige Ort auf der Welt ist, wo man als Jude auf höheren menschlichen und ethischen Werten basierendes Leben führen kann.

Nach Ben Gurions Vorstellung könnten nur eine gerechte Gesellschaft und eine vorbildliche Lebensweise auf lange Sicht den Fortbestand Israels gewährleisten.

Ben Gurions Traum wurde nur zum Teil verwirklicht.Er träumte davon, dass in Israel die große Mehrheit des jüdischen Volkes versammeln wird. Doch die Juden enttäuschten ihn, fünfzig Prozent der Juden inder Welt ziehen es vor, in der Diaspora zu bleiben.

72 Jahre nach 1948, könnte man sagen, dass die Staatsgründung noch nicht abgeschlossen ist. Noch gibt es keine endgültigen Grenzen. Israel kämpft immer noch um seine Unabhängigkeit und wie wir es leider wissen, viele sprechen demStaat seine Legitimität ab.

Israel ist als jüdischer Staat auf dem Grundsatz gegründet, dass Staat und Nation untrennbar miteinander verbunden sind. Die jüdische Nation beruht sich auf ihrer Religion. Das macht heute Israel für viele Menschen in der Welt, die auf die Tradition der Trennung von Staat und Religion vertrauen, „problematisch“.

Ethnizität, also Volkszugehörigkeit und Religion sind in Israel nicht zu unterscheiden. Nationale Symbole sind gleichzeitig religiöse Symbole. Die Verschmelzung von heilig und profan ist bezeichnend für Israel.

Andererseits sollten wir auch sehen, dass die meisten Menschen, auch in Israel, ein normales und ideologiefreies Leben führen wollen. Sie möchten ihre Kinder in die Schule schicken, Urlaub machen, ohne Angst den Alltag leben – und nichtein heldenhaftes Leben führen. Die israelische Wirklichkeit macht all das leider,72 Jahre nach der Staatsgründung, nicht immer möglich.

Deshalb sollten wir einen der Grundpfeiler der israelischen Identität nie vergessen: „Nur ein starkes Israel kann einen erneuten Holocaust verhindern“.

Ich möchte gern, meine Ansprache mit einer persönlichen Erinnerung schließen.1958, vor 62 Jahren, feierte Israel seinen 10.-ten Geburtstag. Ich lebte damals in Jerusalem.

Am Abend haben wir mit Freunden im damaligen Zentrum: in den Straßen KingGeorge und Ben Jehuda spazierend und tanzend gefeiert. Plötzlich tauchten die damals berühmten Politiker auf, Golda Meir und Aba Even, und kamen ebenfalls spazierend uns entgegen, sie gaben uns die Hände und sagten: Chag Sameach und Shalom al Kol Israel.

Ich wünsche euch allen Schabbat Schalom und nachträglich auch für den vergangenen Mittwoch Chag Azmaut Sameach!

Bleibt behütet und gesund!

Euer Senior Rabbi Gábor

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