Ansprache zum Wochenabschnitt Wajikra

Meine liebe Gemeinde, liebe Freunde!

Wir beginnen an diesem Schabbat, das Dritte Buch Moses/Wajikra.

Über 2000 Jahre besteht kein Tempel mehr in Jerusalem. Seitdem wurden keine Opfer mehr gemacht. Nicht weit vom heutigen Tel Aviv haben unsere Weisen von Javne nach der Zerstörung des Tempels verordnet, anstelle der Opfer das Gebet zu setzen. Dabei beriefen sie sich auf einen Vers aus dem Buch Hosea 14,3:

קְחוּ עִמָּכֶם דְּבָרִים, וְשׁוּבוּ אֶל-יְהוָה; אִמְרוּ אֵלָיו, כָּל-תִּשָּׂא עָו‍ֹן וְקַח-טוֹב, וּנְשַׁלְּמָה פָרִים, שְׂפָתֵינוּ

„Nehmt Rede mit euch und kehret zum Ewigen zurück…Der alles vergibt, die Schuld, so nimm das Gute. Und wir werden zahlen für Opferstiere mit unseren Lippen.“

Trotzdem lesen wir Jahr für Jahr die vielen Verse in der Tora über die Opferungen.

Ich möchte gerne einen säkularen Zionisten, Moses Hess zitieren. Er schrieb in seinem Buch, „Rom und Jerusalem“ folgende Zeilen über das Problem der Opferung in der Bibel: „An und für sich enthält der Opferkultus, wie er in der Bibel beschrieben ist, durchaus nichts Inhumanes. Den abscheulichen Menschenopfern der Völker gegenüber, welche die Israeliten von allen Seiten im Altertum umgeben hatten, war das im Gegenteil, der schönste Sieg der Humanität.“

Meine lieben Freunde,

bitte erlaubt mir, dass ich in der zweiten Woche der geschlossenen Synagogen nicht mehr über unseren Wochenabschnitt schreibe, sondern über meine persönliche Empfindung in dieser schwierigen und außerordentlichen Zeit der Corona-Virus berichte.

»Wenn zwei Menschen zusammensitzen und über die Tora reden, dann ist die Schechina anwesend« (Mischna, Awot 3,2). »Schechina« (hebräisch: Sch-a-ch-en, »sich niederlassen«) bezieht sich auf einen geistigen Aspekt des G’ttlichen, der sich in der materiellen Welt manifestiert.

Zu zweit dürfen wir auch heute, in dem nötigen Abstand spazieren gehen und miteinander vieles austauschen. Ja, wenn G’tt uns versprach, dass Er (oder Sie) nicht nur im Himmel thront, erlaube ich mir ein universelles Gebet selbst mit meinen Fehlern zu formulieren:

„Mein G’tt, du hast uns versprochen, nicht nur im Himmel, sondern auch bei uns auf Erden, auch in diesen schwierigen Zeiten zu wohnen! Ja, auch unter uns, die in selbstgewählten oder verordneten Quarantänen sitzen oder liegen.

Wenn wir Angst haben, dann lass uns nicht verzweifeln! Wenn wir mit unserem Verstehen und vielleicht auch mit unseren Kräften am Ende sind, gib uns Hilfe und Hoffnung.

Wir danken allen, die berufen sind, uns zu helfen: unserer Regierung, unserer Beamten und Angestellten, welche die erforderlichen Hilfsmaßnahmen für alle Betroffenen (gesundheits- und wirtschaftlich geschädigten) formulieren und in die Wege leiten.

Wir danken allen Ärzten, Schwestern, Pflegern, Angestellten in den geöffneten Geschäften, unseren Sicherheitsleuten und insgesamt allen die unsere Kranken heilen und uns (noch) Gesunden im Leben erhalten.“

Meine lieben Freunde,

ich bin außerordentlich glücklich darüber, mein Herz strahlt vor Freude, dass eine junge Frau, welche unsere liebe Alisa und ich vor Jahren zur Bat Mizwah geführt haben, in dieser schwierigen Zeit sich freiwillig und ehrenamtlich

als Testerin in einem Corona-Virus-Testzentrum gemeldet hat! Ich bin sicher, dass viele von Euch auch freiwillig und ehrenamtlich das Gleiche tun. Ich danke auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseren Gemeinden, die das reduzierte Gemeindeleben aufrechterhalten und sich um unsere Mitglieder kümmern.

Nun am Freitagabend singen wir viele „verordnete“ Psalmen zusammen.

Ich erlaube mir einen anderen Psalmvers zu wählen, Psalm 84,6: „Glücklich zu nennen ist, wer seine Stärke in Dir gefunden hat“, denn  so steht es geschrieben bei Jesaja 41,10: אל תירא כי עמך אני

„Fürchte dich nicht, denn Ich bin bei  dir; sei nicht verzagt, denn Ich bin dein G’tt. Ich werde dich stärken, Ich werde dir helfen; Ich werde dich stützen mit der Stärke meiner Gerechtigkeit“

Ich umarme euch aus der Ferne und wünsche euch allen: seid behütet, gesegnet und gesund!

Schabbat Schalom U‘Mewurach!

Euer Senior-Rabbi Gábor

Dr. Gábor Lengyel

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